11.5.07

Einwandern oder auswandern

Die Waage kippt.

Erstmals seit fast zwanzig Jahren wandern wieder weniger Juden nach Israel ein als aus dem Land aus. Waren es vor vielen Jahren hunderttausend jedes Jahr, und im Jahr 2000 noch 61.000 Menschen, so waren es 2006 nur noch ca. 20.000 Juden, die Aliah machten – „hinaufgehen“ nach Jerusalem - , und damit die zionistische Idee erfüllten, dass die Juden der Welt vereint in Israel leben und die Diaspora zu Ende ist. Heute stehen 14.400 neue Israelis 20.000 Menschen gegenüber, die das Land wieder verlassen.

Alle Juden vereint in Israel hat es eigentlich nie gegeben. Seitdem die erste Emigration der israelitischen Führungsschicht 722 vor Chr. aus dem Nordreich Israel (oder Samaria) begann, wuchs nur die Zahl der jenseits der israelitischen Grenzen lebenden Dia-spora-Juden. Diese Bewegung ins Exil verstärkte sich noch einmal 587, als Nebukadnezar die Elite aus Jerusalem vertrieb und die Stadt zerstörte. Vor allem in Babylon entstanden dann die ersten kodifizierten Bibelschriften als Werke des Exils.
Aus dieser frühen Bibel spricht die Sehnsucht nach der Heimat; sie formulierte aber auch den juristischen Anspruch auf das Land zwischen Beerschewa und Nablus. Diesem Anspruch gab Perserkönig Kyros nach, als er den Juden die Heimkehr erlaubte. Doch damals kamen mit Ezra und Nehemia nur wenige; und es dauerte eine Generation, bis der Tempel von Jerusalem wieder halbwegs stand. Die Hoffnung auf ein rasches Wachstum des autonomen Juda erfüllte sich nicht. Wie heute gaben die Israeliten im Exil lieber reichlich Spenden, aber selbst wollten sie das „Exil“ nicht verlassen und nach „Juda“ kommen.

Theodor Herzl war erfolgreicher gewesen und natürlich tat die Shoah ein übriges. Aber Ministerpräsident Sharon, der gehofft hatte, Israel würde die Araber bald demographisch „überholen“, musste erkennen, dass dieser Plan scheiterte, und daher war die Räumung des Gazastreifens unvermeidbar. Nun verlangen einige Israelis den Abzug aus dem Westjordanland. Viele Palästinenser aber plädieren für einen binationalen Staat. Sie hoffen darauf, einmal in Israel und in den palästinensischen Gebieten die Mehrheit zu bilden. Ein Israel mit jüdischer Identität würde allmählich verschwinden.

Wichtigster Grund für den Rückgang der Einwandererzahlen ist, dass offenbar das Reservoir in der früheren Sowjetunion ausgeschöpft ist; etwa 20 Prozent der Einwanderer von dort waren nur wegen ihrer engen verwandtschaftlichen Beziehung zu einem Juden gekommen und sind eigentlich Christen.
Vor allem junge Israelis denken ans Auswandern, wobei Städte wie New York und Berlin in Frage kommen. Dabei ist nicht die unsichere politische Lage im Land primär der Anlass für Unzufriedenheit, sondern die schlechten Bildungschancen. Die Korruptionsaffären in der Führungsschicht tragen zu geringer werdendem Vertrauen in die Regierung bei.
Seit dem 59. Unabhängigkeitstag wird wieder an die „verlorenen Stämme“ erinnert, an Juden im nordwestlichen Indien oder an die Subbotnikjuden in Russland, deren Vorfahren vor zwei Jahrhunderten zum Judentum konvertierten. In Äthiopien bezeichnen sich noch viele tausend Menschen als Juden und wollen nach Israel, aber das israelische Oberrabbinat tut sich mit ihnen schwer: Diese Juden lassen sich zwar beschneiden, aber sie kennen nicht die Bräuche, die nach der babylonischen Gefangenschaft aufkamen.

aus: Frankfurter Allgemeine – faz.net


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