17.6.13

Israels Friedens(un-)willigkeit in der Diskussion

Hier ein aufschlussreicher Artikel in der WeltOnline von Michael Wolffsohn. 
Danke Herr Wolffsohn, für diese Einsichten. Beschämend, zu hören, wie egal unseren Politikern das Schicksal der Überlebenden unseres großen Verbrechens, war ... und heute vielen immer noch ist. Uns allen sollte unsere Geschichte nicht egal sein. Deutschlands Verhältnis zu Israel war nie stark genug, dass sich Israel drauf verlassen konnte, von Deutschland im Notfall Beistand zu bekommen. Das haben die Israelis gelernt.
Dass hier einiges am Bild Israels richtiggestellt wird, ist natürlich gut, und wichtig.


Israel, Brandt und die SPD

In Israel haben die Medien engagiert über den Artikel zum Thema "Wie Willy Brandt im Sommer 1973 die nahöstliche Friedenskarte verspielte" berichtet. Deutsche Medien hingegen reagierten kaum auf das Stück, das vergangene Woche in der "Welt am Sonntag" stand. Für die meisten Deutschen ist das Thema Geschichte. "Es war einmal" – kein Märchen, aber: "Lang, lang ist's her."

Diese Sicht ist auch tagespolitisch falsch, denn damals wie heute galt und gilt Israel als kompromisslos, konfrontativ, dickköpfig und friedensunwillig. Die von Hagai Tsoref und mir in dem Artikel vorgelegten Dokumente beweisen das Gegenteil. Man fragt sich, weshalb Willy Brandt 1973 nach der Israel-Reise sein friedenspolitisches Prestige nicht für jene Friedenschance oder danach für ein gerechteres Urteil über Israels Politik in die Waagschale warf. Mehr noch: Nach 1973 schüttete er, gemeinsam mit Österreichs jüdischem (!) und antizionistischem Bundeskanzler Bruno Kreisky Öl ins antiisraelische Feuer und hofierte PLO-Führer Jassir Arafat, dessen Organisation das Münchner Olympiamassaker von 1972 zu verantworten hatte.

Deutsche Medien und Politiker reagierten auf unseren Artikel wohl auch deshalb zurückhaltend, weil sie nicht am "Willy-Brandt-Denkmal" kratzen wollten. Das ist pietätvoll, doch sinnlos. Ein Leser war von Brandts im Artikel erkennbarer Israel-Distanz so begeistert, dass er auf der "Welt"-Website verkündete, im Herbst dieses Jahres SPD wählen zu wollen. Wenn Willy Brandt das wüsste, würde er sich gewiss im Grabe umdrehen. Wie finden das heutige Sozialdemokraten? Sie schweigen. Die Geister, die sie riefen…
In Israel wird nun nicht über Willy Brandt diskutiert, sondern über Golda Meir persönlich sowie politisch über Israels damalige grundsätzliche Friedenswilligkeit oder -unwilligkeit. Von den deutschen Sozialdemokraten erwartet das politische Israel seit Brandt wenig bis nichts.


 Das war nicht immer so. Im Gegenteil, denn von 1948 bis zum Mai 1977 wurde Israel von Sozialdemokraten regiert, und bis zum Sommer 1973 hielt auch Genossin Golda sehr viel von ihrem Genossen Willy. Das änderte sich spätestens seit dem Oktoberkrieg 1973. SPD-Kanzler Helmut Schmidt provozierte mehrfach nicht nur Israels Rechtsparteien, sondern das gesamte Spektrum des jüdischen Staates. Schmidt legte der ägyptisch-israelischen Friedenspolitik, sprich Sadat und Begin, seit 1977 Knüppel zwischen die Beine. Trotzdem wurde im März 1979 zwischen beiden Staaten ein Friedensvertrag geschlossen, der bis heute (wie lange noch?) gültig ist.

Im Herbst 1980 erklärte Kanzler Schmidt Israel zur "größten Gefahr für den Weltfrieden", der bis heute, so weit bekannt, nicht von Israel gebrochen wurde. Im Januar 1981 wollte Schmidt Saudi-Arabien deutsche Leopard-II-Panzer liefern – gegen den Protest Israels. Im April 1981 verkündete Helmut Schmidt in Saudi-Arabien (!), dass deutsche Politik nicht mehr von Auschwitz überschattet werden solle. Bei der Aufzählung der Opfer deutscher Kriegsverbrechen nannte er viele Völker – die Juden blieben unerwähnt. Der nächste SPD-Bundeskanzler war Gerhard Schröder. Er gab nicht einmal vor, Sympathien für Israel zu hegen, weigerte sich seit dem Jahr 2000 (trotz mehrfach ausgesprochener Einladungen), Israel zu besuchen, und ist heute Ehrenpräsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft. Das ist durchaus ehrenwert und legitim, aber kein Beleg für eine israelfreundliche Politik. Deshalb diskutierte Israel nicht über Brandt und andere SPD-Kanzler.

In der Jerusalem Post war der Inhalt des Artikels Aufmacher der gedruckten Seite eins und der Online-Ausgabe. Tenor: Wir haben schon immer Frieden gewollt; das wird und wurde verkannt. Die linksliberale Tageszeitung "Haaretz" berichtete, ebenfalls in der Druck- und Onlineausgabe, an prominenter Stelle und zeigte sich (weil grundsätzlich regierungsskeptisch) über die meirsche Friedensgeste überrascht. Man ließ kritische Zeithistoriker zu Wort kommen. Deren Hauptargument: Tsoref und ich hätten nur eine Auswahl, nicht alle Dokumente vorgelegt. Das stimmt, doch die vorgelegten Dokumente belegen den Sachverhalt aller Dokumente. Diese Auseinandersetzung führt freilich ins Fachchinesische und interessiert hier nicht.

Den Artikel griffen auch die große Online-Plattform Ynet und das quoten- sowie qualitativ stärkste Morgenmagazin des Israelischen Rundfunks, Kanal 2, auf. Auch hier widmete man sich vornehmlich der willkommenen Überraschung: dass Israels Politik damals faktisch deutlich kompromissbereiter war als im In- und Ausland wahrgenommen. Nur damals? Vielleicht sollten sich Israelkritiker diese selbstkritische Frage auch heute stellen?
DIE WELT

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