Danke Herr Wolffsohn, für diese Einsichten. Beschämend, zu hören, wie egal unseren Politikern das Schicksal der Überlebenden unseres großen Verbrechens, war ... und heute vielen immer noch ist. Uns allen sollte unsere Geschichte nicht egal sein. Deutschlands Verhältnis zu Israel war nie stark genug, dass sich Israel drauf verlassen konnte, von Deutschland im Notfall Beistand zu bekommen. Das haben die Israelis gelernt.
Dass hier einiges am Bild Israels richtiggestellt wird, ist natürlich gut, und wichtig.
Israel, Brandt und die SPD
In Israel haben die Medien engagiert über den Artikel zum Thema "Wie Willy Brandt im Sommer 1973 die nahöstliche Friedenskarte verspielte" berichtet. Deutsche Medien hingegen reagierten kaum auf das Stück, das vergangene Woche in der "Welt am Sonntag" stand. Für die meisten Deutschen ist das Thema Geschichte. "Es war einmal" – kein Märchen, aber: "Lang, lang ist's her."
Diese Sicht ist auch
tagespolitisch falsch, denn damals wie heute galt und gilt Israel als
kompromisslos, konfrontativ, dickköpfig und friedensunwillig. Die von
Hagai Tsoref und mir in dem Artikel vorgelegten Dokumente beweisen das
Gegenteil. Man fragt sich, weshalb Willy Brandt 1973 nach der
Israel-Reise sein friedenspolitisches Prestige nicht für jene
Friedenschance oder danach für ein gerechteres Urteil über Israels
Politik in die Waagschale warf. Mehr noch: Nach 1973 schüttete er,
gemeinsam mit Österreichs jüdischem (!) und antizionistischem
Bundeskanzler Bruno Kreisky Öl ins antiisraelische Feuer und hofierte
PLO-Führer Jassir Arafat, dessen Organisation das Münchner
Olympiamassaker von 1972 zu verantworten hatte.
Deutsche Medien
und Politiker reagierten auf unseren Artikel wohl auch deshalb
zurückhaltend, weil sie nicht am "Willy-Brandt-Denkmal" kratzen wollten.
Das ist pietätvoll, doch sinnlos. Ein Leser war von Brandts im Artikel
erkennbarer Israel-Distanz so begeistert, dass er auf der "Welt"-Website
verkündete, im Herbst dieses Jahres SPD wählen zu wollen. Wenn Willy
Brandt das wüsste, würde er sich gewiss im Grabe umdrehen. Wie finden
das heutige Sozialdemokraten? Sie schweigen. Die Geister, die sie
riefen…
In Israel wird
nun nicht über Willy Brandt diskutiert, sondern über Golda Meir
persönlich sowie politisch über Israels damalige grundsätzliche
Friedenswilligkeit oder -unwilligkeit. Von den deutschen
Sozialdemokraten erwartet das politische Israel seit Brandt wenig bis
nichts.
Das war nicht
immer so. Im Gegenteil, denn von 1948 bis zum Mai 1977 wurde Israel von
Sozialdemokraten regiert, und bis zum Sommer 1973 hielt auch Genossin
Golda sehr viel von ihrem Genossen Willy. Das änderte sich spätestens
seit dem Oktoberkrieg 1973. SPD-Kanzler Helmut Schmidt provozierte
mehrfach nicht nur Israels Rechtsparteien, sondern das gesamte Spektrum
des jüdischen Staates. Schmidt legte der ägyptisch-israelischen
Friedenspolitik, sprich Sadat und Begin, seit 1977 Knüppel zwischen die
Beine. Trotzdem wurde im März 1979 zwischen beiden Staaten ein
Friedensvertrag geschlossen, der bis heute (wie lange noch?) gültig ist.
Im Herbst 1980
erklärte Kanzler Schmidt Israel zur "größten Gefahr für den
Weltfrieden", der bis heute, so weit bekannt, nicht von Israel gebrochen
wurde. Im Januar 1981 wollte Schmidt Saudi-Arabien deutsche
Leopard-II-Panzer liefern – gegen den Protest Israels. Im April 1981
verkündete Helmut Schmidt in Saudi-Arabien (!), dass deutsche Politik
nicht mehr von Auschwitz überschattet werden solle. Bei der Aufzählung
der Opfer deutscher Kriegsverbrechen nannte er viele Völker – die Juden
blieben unerwähnt. Der nächste SPD-Bundeskanzler war Gerhard Schröder.
Er gab nicht einmal vor, Sympathien für Israel zu hegen, weigerte sich
seit dem Jahr 2000 (trotz mehrfach ausgesprochener Einladungen), Israel
zu besuchen, und ist heute Ehrenpräsident der Deutsch-Arabischen
Gesellschaft. Das ist durchaus ehrenwert und legitim, aber kein Beleg
für eine israelfreundliche Politik. Deshalb diskutierte Israel nicht
über Brandt und andere SPD-Kanzler.
In der Jerusalem Post war der Inhalt des Artikels Aufmacher der gedruckten Seite eins
und der Online-Ausgabe. Tenor: Wir haben schon immer Frieden gewollt;
das wird und wurde verkannt. Die linksliberale Tageszeitung "Haaretz"
berichtete, ebenfalls in der Druck- und Onlineausgabe, an prominenter
Stelle und zeigte sich (weil grundsätzlich regierungsskeptisch) über die
meirsche Friedensgeste überrascht. Man ließ kritische Zeithistoriker zu
Wort kommen. Deren Hauptargument: Tsoref und ich hätten nur eine
Auswahl, nicht alle Dokumente vorgelegt. Das stimmt, doch die
vorgelegten Dokumente belegen den Sachverhalt aller Dokumente. Diese
Auseinandersetzung führt freilich ins Fachchinesische und interessiert
hier nicht.
Den Artikel
griffen auch die große Online-Plattform Ynet und das quoten- sowie
qualitativ stärkste Morgenmagazin des Israelischen Rundfunks, Kanal 2,
auf. Auch hier widmete man sich vornehmlich der willkommenen
Überraschung: dass Israels Politik damals faktisch deutlich
kompromissbereiter war als im In- und Ausland wahrgenommen. Nur damals?
Vielleicht sollten sich Israelkritiker diese selbstkritische Frage auch
heute stellen?
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