Beit Jala weckt noch immer Heimatgefühle in mir, denn acht Jahre meines Lebens verbrachte ich dort und zwei meiner Kinder sind dort geboren worden.
So ist es naheliegend, dass ich mir das Haus, das Beit Al Liqa (Haus der Begegnung) von Johnny Shahwan und seiner deutschen Frau Marlene genauer anschauen muss, das ca. 200 m entfernt unterhalb unseres Wohnhauses von damals am Hang gebaut wurde. Die Oase inmitten einer trockenen Landschaft sticht mit seinem grünen Rasen mit Spielplatz ins Auge und es ist für die Kinder und Jugendlichen aus der Umgebung auch in geistlicher Hinsicht eine Oase. Eine Kindertagesstätte für Kleinkinder ist täglich geöffnet und für die christliche Bevölkerung in der ganzen Provinz will das Beit Al Liqa ein Ort für Freizeit, Erholung, soziales Lernen, Gemeinsamkeit, geistlicher Stärkung und biblischer Lehre für die Kinder und Jugendlichen bei Freizeiten, Lobpreisabenden, Kindertagen und für die Erwachsenen bei Schulungen und Seminaren sein. Die vielen Räume in dem großen vierstöckigen Haus mit Küche und Cafeteria, großem Garten, Spielplatz, Sportplatz, einer Kapelle, einem Kiosk, Bastelkeller sind für alle diese Aktivitäten bestens eingerichtet.
Beit AlLiqa
Johnny erzählt mir, das es für die Kleinen viel bedeutet hier zu sein, die zu Hause viel Streit und grobem Umgang ausgesetzt sind, und die Jugendlichen lernen, dass Liebe und Vergebung der Schlüssel zu einem Leben in Frieden in einer nicht sehr friedvollen Welt sind. Es kommen auch Kinder aus moslemischen Familien hierher und der Effekt, dass die Moslems von der Liebe Jesu berührt werden, bleibt natürlich nicht aus. Für Marlene ist Beit Jala ganz zu ihrem zu Hause geworden (was ich ganz und gar nachvollziehen kann!), sie spricht die Landessprache fließend und geht ihrer Aufgabe, das Zentrum an der Seite ihres Mannes zu leiten, mit Eifer und Leidenschaft nach.
Meine Verwandten finde ich so wie immer vor; in ihrer Welt hat sich nicht viel geändert, aber ich erfahre dennoch Neues. Meine jüngste Schwägerin hat ihr Diplom an der Bethlehem Universität gemacht und sucht jetzt nach einer Arbeitsstelle, was nicht ganz einfach ist, denn sie möchte nicht in einer von Moslems betriebenen Firma oder Institution arbeiten, wo sie, wie sie sagt, keine anständige Behandlung erwarten wird, aber sie will auch nicht einfach das Land verlassen, wie viele andere junge Christen, die ihre Zukunft hier nicht mehr sehen. Meine andere Schwägerin hat einen Moslem geheiratet und ist zum Islam übergetreten. Sie trägt den „Stoffkäfig“ aus Überzeugung und stört sich nicht daran, die zweite Frau zu sein. Leider hatte ich kaum Gelegenheit, sie zu ihren Beweggründen auszufragen, aber das Leben ist für sie so denkbar einfach, solange sie die Regeln dieser Gesellschaft einhält. Ihr Mann ist vermögend und einflussreich genug, so dass sie ausgesorgt hat.
Meine Schwiegermutter hat mich sehr überrascht und berührt. Sie erzählt mir, dass sie jeden Morgen ein christliches Progamm in Fernsehen anschaut, in dem Lobpreis, Bibellehre und Anleitung zum Gebet vermittelt werden, und zu meinem weiteren Erstaunen sehe ich Joyce Meyer auf dem Bildschirm arabisch synchronisiert predigen. Meine Schwiegermutter hört ihr aufmerksam zu und blättert dabei in einem Heftchen, das ihre wichtigen Gebete und Bibelverse enthält, während ihre Bibel aufgeschlagen auf dem Tisch liegt. Sie erzählt mir auch, dass sie sich Sorgen um ihre Kinder und Enkel macht und jeden Tag für sie betet und Gott dankt, dass er sie in dieser unruhigen Zeit bewahrt.
Mit Beschämung erkenne ich, dass ich ihr all die Jahre keinen wirklichen Glauben an Jesus zugestanden hatte, weil sie eben, wie alle, die fest verwurzelt im System der dort etablierten traditionellen Kirche sind, all das Beiwerk, wie Heiligen-Anbetung, Kerzen anzünden, Rosenkranz, Reliquienverehrung und viele seltsame kleine Hilfsmittel für wichtig erachtet und ich nicht verstehen konnte, was das alles mit einem echten Glauben an Jesus zu tun haben sollte. Ich sehe nun das Gott ein sehr viel weiteres Herz hat, als wir denken, und dass Er zu Menschen auf seine Weise spricht.
Von einer wundersamen Bewahrung der Familie vor 6 Jahren erzählt sie mir später, als nämlich vor sechs Jahren, als es auch in Beit Jala im nahegelegenen Aida Flüchtlingslager zu Gewaltausbrüchen zwischen Palästinenseren und israelischen Truppen kam, Gott ihr die Warnung schon vorher gab, bevor die Schüsse durch das Haus pfiffen. Diese hätten meinen Schwiegervater und meine Schwägerin sonst tödlich getroffen. Ich habe meine Schwiegermutter sehr lieb.
Beim Hinausfahren auf der Hebron-Road erwartet einen auf jeden Fall die Prozedur am Checkpoint, der jetzt wegen Rachels Grab, das genau auf der Verbindungsstraße Jerusalem-Bethlehem-Hebron liegt, verlegt wurde, und hier wirkt die 9 Meter hohe Mauer viel bedrohlicher. Die Prozedur ist für uns Ausländer und meine Verwandten aus Jerusalem einfach: Pass herzeigen, freundlich schauen, „thank you“ oder „shalom“ sagen, und nach vielleicht höchstens noch einem Blick in den Kofferraum - weiterfahren. Für alle anderen Bewohner hier, ebenso meiner Schwiegermutter und Schwägerin bedeutet es „hauwijeh“ (Personalausweis) und „tasrich“ (Genehmigung) dabei haben, dann lange, lange warten – an sonsten kein Durchkommen.
Solange ich mich in Bethlehem aufhalte, fühlte ich mich zwar nicht eingesperrt, aber ich erfahre ganz deutlich, was es für die Bewohner bedeutet, seien es nun radikale oder friedliebende Moslems oder Christen, nicht einfach zu einem Ausflug, oder zum Besuch von Verwandten, oder auch nur zum Einkaufen auf die andere Seite, nach Israel, fahren zu können. Denn am Checkpoint, wo die Araber die Demütigungen zu spüren bekommen, dass ihnen nur durch die Gnade der israelischen Behörden die Ausübung der freien Aufenthaltsbestimmung möglich ist, werden alle dafür bestraft, dass radikale moslemische Gruppen noch immer so verbissen gegen Israel kämpfen. Dass es die eigenen Verwandten oder Freunde sind, denen es auch so geht, bringt einen erst recht zum Nachdenken. Es ist schon was anderes, die Schutzmauer der Israelis ganz nah zu sehen, wie sie sich zwischen Gebäuden durchschlängelt und ganz deutlich zeigt, dass hier zwei Welten von einander getrennt werden. Des Abends in der Dunkelheit am Bethlehem-Jerusalem Durchgang vor der Mauer zu stehen, in die das riesige Stahltor eingelassen ist, und darauf zu warten, das die Grenzposten das Tor öffnen, um mich und meinen Sohn wieder „rauszulassen“, vermittelt ein wenig das Gefühl der Ohnmacht, der Frustration und der Wut, die bei allen Gesprächen mit Arabern in der Stimme mitschwingt, wenn sie über ihre Situation erzählen. Nur Menschen, die Jesus im Herzen haben und um seine Vergebung wissen, können befreit von diesen Gefühlen über den Konflikt reden. Deswegen ist mir auch bei meinem Besuch wieder neu so klar geworden, dass nur der Friedefürst selbst, den Menschen in diesem Dilemma Hoffnung geben kann. Dass nur Jesus den Frieden geben kann, der im Herzen anfängt und der letztendlich die einzige wirksame Friedensstrategie für dieses Land ist.
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