Benjamin Netanjahu glaubt, dass drei Themen auf der nationalen Agenda stehen: Iran, Iran und Iran. Zum ersten, weil im Falle eines atomaren Iran der Nahe Osten atomar aufrüsten würde. Zum zweiten, weil sich im Falle eines atomaren Iran der Nahe Osten radikalisieren würde. Zum dritten, weil im Falle eines atomaren Iran früher oder später ein religiöser Fanatiker Gebrauch von seiner nuklearen Kompetenz machen würde. Daher ist das kommende Jahr aus Netanjahus Sicht ein entscheidendes Jahr in der Geschichte Israels. Die erste Aufgabe besteht darin, die Welt dazu zu bringen, den Iran zu bremsen. Die zweite Aufgabe besteht darin, sich auf die Möglichkeit vorzubereiten, dass die Welt den Iran nicht bremsen und Israel allein seinem Schicksal gegenüberstehen wird.
Netanjahu glaubt wirklich, dass der Iran den Westen nicht weniger bedroht als Israel. In seinem langen Gespräch mit Barack Obama hat er vergangene Woche gewarnt, dass die USA im Falle eines atomaren Iran nicht mehr vor einem Pakistan stehen würden, sondern vor sechs Pakistan-ähnlichen Staaten. Ein atomarer Iran würde mit den USA um den Status der Hegemonialmacht wetteifern, die Weltordnung würde erschüttert, die USA geschwächt und Obama selbst als jemand erinnert werden, zu dessen Amtszeit das internationale System aus den Fugen geraten ist. Daher gibt es heute keinen Widerspruch zwischen israelischem Interesse und amerikanischem oder europäischem Interesse. Mehr als je zuvor ist Israel der Wellenbrecher des nordatlantischen Bündnisses in der ansteigenden Brandung des Orients.
Netanjahu hat das Gefühl, dass er gerade in der iranischen Angelegenheit ein offenes Ohr bei Obama gefunden hat. Die Betonungen und die Rhetorik sind unterschiedlich, aber Obama versteht. Noch bevor er Präsident war, sprach er davon, dass die Welt sich keinen islamischen Staat leisten könne, der sich atomar bewaffnet.
Und die Geheimdiensteinschätzungen, die er seit seinem Einzug ins Oval Office gelesen hat, haben sein Verständnis noch vertieft. Ebenso sein Gespräch mit König Abdallah. Anders als in den Medien berichtet, hat der um seine Zukunft besorgte jordanische Herrscher den Großteil seiner Zeit in Washington der iranischen Bedrohung gewidmet. Dies tun auch andere arabische Präsidenten und Könige in ihren Gesprächen mit Abgesandten des amerikanischen Präsidenten und seinen Botschaftern. Nicht der Druck der jüdischen Lobby, sondern Krisenrufe arabischer Führer bringen Barack Hussein Obama dazu, zu verstehen, dass der Iran eine Herausforderung ist. Am Iran wird sich sein Schicksal entscheiden.
So ist das größte Problem, vor dem Israel heute steht, nicht die Führung des Westens, sondern die öffentliche Meinung im Westen. In Washington, London, Paris und Berlin sitzen Staatschefs, die die Bedeutung des Iran verstehen. Auch die politischen und sicherheitspolitischen Stäbe von Obama, Brown, Sarkozy und Merkel verstehen die Bedeutung des Iran. Im Hinblick auf die tatsächliche iranische Bedrohung bestehen keine tiefen Meinungsverschiedenheiten wie jene vor sieben Jahren hinsichtlich der vermeintlichen irakischen Bedrohung.
Doch besteht eine erstaunliche Diskrepanz zwischen dem Verständnis der westlichen Führer und der öffentlichen Meinung in ihren Ländern. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind die Europäer nicht bereit, einen wirklichen Preis für den Schutz ihrer Freiheit und ihrer Kultur zu zahlen. Seit dem Irakkrieg sind die Amerikaner nicht in der Lage, an ein weiteres Abenteuer im Nahen Osten zu denken. Daher schweigen die fünf Führer der freien Welt. Nicht weil sie blind sind, schweigen sie. Nicht weil sie die Gefahr nicht sehen. Wegen des Versöhnungsdrucks der Öffentlichkeit, dem sie ausgesetzt sind, haben sich die Führer des Westens willentlich entschieden, so zu tun, als wären sie hilflos.
Bei Netanjahu ruft diese Hilflosigkeit eine bekannte historische Assoziation hervor. Wenn er den Vergleich zieht zwischen den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts und der Gegenwart, meint er nicht, dass ein Holocaust vor der Tür steht. Auch ist ihm bewusst, dass Achmadinejad kein Hitler ist. Es kann sogar sein, dass er im nächsten Monat von der Bühne abtreten wird. Und dennoch erkennt der Ministerpräsident eine Ähnlichkeit zwischen der Meinungs- und Willensschwäche der Demokratien damals und heute. Er erkennt eine Ähnlichkeit zwischen den Beweggründen, die Chamberlain dazu geführt haben, das Böse zu beschwichtigen, und den Beweggründen, die derzeit viele dazu führen, sich schwach und zögerlich dem Bösen gegenüber zu verhalten. Er hat keinen Zweifel, dass der Westen am Ende aufwachen, sich zusammenreißen und obsiegen wird. Aber er fürchtet, dass das Erwachen zu spät kommen wird. Das Erwachen wird nicht vor der Tschechoslowakei, sondern nach der Tschechoslowakei kommen.
Die Situation ist eine Situation der Leugnung. In den USA, in Europa und in Israel zieht man es vor, der Wahrheit nicht ins Gesicht zu sehen. Man zieht es vor, sich mit Kleinigkeiten zu beschäftigen. So ist dies ein Test der Führungskraft. Sowohl Obama als auch Netanjahu werden an ihrer Fähigkeit gemessen werden, zu führen und nicht geführt zu werden. Die Prüfung für den amerikanischen Präsidenten und den israelischen Ministerpräsidenten wird in ihrer Fähigkeit bestehen, das gemeinsame Verständnis einer historischen Herausforderungen in eine gemeinsame historische Aktion zu überführen - eine abgewogene, koordinierte, entschlossene und verantwortungsvolle Aktion.
von Ari Shavit - Haaretz
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