24.10.13

Die Wahrheit über Nazareth

Nazareths schwindende christliche Bevölkerung - zerrissen zwischen Wegzug und Kampf

Die diesen Monat stattfindende Kommunalwahl unterstreichen die trostlosen und bitteren Rivalitäten in der Stadt von Jesu Kindheit.

Kann aus Nazareth etwas Gutes kommen? Fragte sich Natanael, ein Jünger Jesu, im Evangelium von Johannes. Dieselbe Frage heute gestellt, würde viele der Bewohner der Stadt schwer unter Druck bringen.
Die anstehenden Gemeinderatswahlen, die am 22. Oktober geplant sind (Anmerk.: Aktuelles über die Wahl, siehe unten), treffen eine verarmte und niedergedrückte arabische Stadt in Israel an. 

Eine landesweite Studie, die das Ministerium für öffentliche Sicherheit im August durchführte, deckte auf, dass die Bewohner Nazareths die Israelis sind, die am meisten Angst haben, Opfer eines Verbrechens zu werden. Man fand auch, dass hier, zusammen mit Bewohnern von Verbrechen-heimgesuchten Städten, wie Ramle und Lod, das geringste Gefühl für persönliche Sicherheit besteht.
„Die Dinge haben sich verschlechtert in dieser Stadt“, sagt eine ältere Frau, eine Kette mit einem goldenen Kreuz um den Hals, die an diesem Tag auf Nazareths Hauptstraße unterwegs ist. „Keiner der Leute hier bekommen irgendwelche Hilfe – weder von der Gemeinde, noch von der Regierung, noch von der Polizei.“
Wie sein christlicher Zwilling, Bethlehem, in der West Bank, hat auch Nazareths demographische Zusammensetzung in den letzten sechs Jahrzehnten einen dramatischen Wandel erlebt, eine Tatsache, die manche Einwohner an dem sich verschlechterten Sinn für Sicherheit und an der allgemeinen „niedrigen Lebensqualität“ festmachen. Die Stadt war vor 1948 eine Stadt mit einer großen christlichen Mehrheit, heute sind 70 Prozent von Nazareths 80 000 Einwohnern Muslime. Die Veränderung begann schon zur Zeit von Israels Unabhängigkeitskrieg, als sich ein Strom von inländisch vertriebenen Dorfbewohnern in Nazareth niederließen. Die Forscher der Studie sehen aber auch eine höhere Geburtenrate der Muslime.

Islamische Banner im Eingangsbereich vor der Verkündigungsbasilika in Nazareth mit Koranversen: "Sag: Er ist Allah, der Einzige, Allah der Ewige, Absolute, er hat nicht gezeugt noch wurde er gezeugt, und keiner ist ihm gleich." (gesehen 2010)
Religiöse Spannungen traten in den frühen 2000er Jahren in den Vordergrund, als die ortsansässigen Muslime eine neue Moschee nahe der Verkündigungs-Basilika, dem überragenden christlichen Wahrzeichen der Stadt, zu bauen anfingen. Anfang 2002 beschloss die Regierung, die Bautätigkeiten auf der Baustelle, die über dem Grab von Schihab A-Din, dem Neffen Saladins, lag, auf Grund massiven Drucks von Seiten des Vatikans, zu stoppen. Die Muslime waren von diesem Schritt erzürnt, leisteten jedoch wenig Widerstand, als im Jahr darauf ein illegaler Bau auf genau diesem Platz niedergewalzt wurde.
 
Rames Jareisi, der kommunistische, christliche Bürgermeister der Stadt, der bald 20 Jahre im Amt ist, spielt Konfessionalismus als maßgeblichen Faktor in Nazareth herunter. Tawfik Sayyad, sein Vorgänger im Amt, der 1994 bei einem Autounfall ums Leben kam, war ein Moslem, bemerkt er. Während des ganzen letzten Jahrhunderts regierten christliche und muslimische Bürgermeister die Stadt, ohne der religiösen Ausrichtungen ihrer Untergebenen großartig Bedeutung beizumessen.

Ich bin viermal durch direkte Wahlen von beiden, Muslimen und Christen, gewählt worden“, sagte Jareisi. „Manche Leute benützen Religion, um politische Ziele zu erreichen. Wir haben keinerlei religiöse Auseinandersetzungen außerhalb kleiner fundamentalistischer muslimischer und christlicher Gruppen. Aber die sind eine sehr kleine Minorität.“

Ein Mitglied dieser „sehr kleinen Minoritäten“ ist der Bürger Bshara Schlayan, ein pensionierter Kapitän der israelischen Handelsmarine, der dabei ist, eine politische Partei für christliche Araber in Israel zu gründen. Die Partei, so Schlayan, zielt darauf ab, einer, wie er es nennt, allmählichen Beanspruchung von Nazareths historischen christlichen Symbolen durch die städtische muslimische Mehrheit, entgegenzutreten.
 
An der 'Marienquelle' war immer ein großes blaues Schild angebracht, das seine Geschichte erklärte. Sie entfernten das Zeichen, um jegliche Spur des Christentums auszulöschen und nannten die Quelle 'Nazareth Strom'. Warum? Andere mögen das unwichtig finden, ich betrachte es als wesentlich.“


(die Marienquelle ist eine unterirdische Wasserquelle, und war in vergangenen Jahrhunderten die einzige Wasserquelle für die Bewohner Nazareths. In der Nähe des Ortes der Verkündigung gelegen, ist sie mit hoher Wahrscheinlichkeit der Ort, an dem Maria Wasser für die heilige Familie geschöpft hat. Anmerk. d. Übers.)

Schlayan meint, um das Problem der Christenabwanderung aus der Stadt zu lösen, braucht es mehr, als nur einen christlichen Bürgermeister zu wählen. Veränderung, meint er, muss von der Knesset kommen, bevor „alle Christen der Stadt weggehen, weil die Banden Schutzgeld verlangen.“

Jareisi sagt, Schlayan sei ein „Kollaborateur“, der mit den israelischen Behörden zusammenarbeitet und danach trachtet, unnötige Spannungen zwischen Christen und Muslimen in der Stadt zu schaffen. „Es wird ihm nicht gelingen“, erklärt der Bürgermeister.

Aber Schlayan ist nicht der einzige Christ in der Stadt, der offen seine Meinung sagt. Ibrahim hat nur noch gewartet, bis sein Sohn das christliche Gymnasium in der Stadt fertigmachte, dann verließ er Nazaret vor 14 Jahren, um ins nahegelegene Obere Nazareth zu ziehen – und er schaute nie mehr zurück. „Wenn du mir ganz Nazareth umsonst geben würdest, würde ich nicht zurückkommen“, sagt Ibrahim und fügt hinzu, dass er neulich sein Mehrfamilienhaus in der muslimischen Nachbarschaft, Jabal Hammudeh, verkauft hat. „ Wir haben es dort mit Rassismus Problemen zu tun. Fast in jeder Wohnung des Hauses gibt es illegale Waffen.

Die Religion spielt schon eine große Rolle in Nazareth. Als die Christen noch in der Mehrheit waren, gab es keine Probleme... unsere Mentalität ist eher europäisch und unsere Religion sag: 'liebt einander!'. Ibrahim erklärt, dass seine neuen jüdischen Nachbarn in Ober-Nazareth sehr freundlich sind, solange man mit ihnen nicht über Politik spricht.
 
Vor der Verkündigungsbasilika: "Wer immer eine andere Religion sucht als den Islam, wir von Ihm nicht angenommen, er wird künftig einer der Verlierer sein." (gesehen 2010)

Hanin Zoabi, umstrittenes Mitglied der Knesset von der arabischen Nationalistischen Partei „Balad“, ist Ende August in den Wahlkampf um den Posten des Bürgermeisters eingestiegen. Zoabi, nicht-gläubige Muslimin – die 2010 auf der Mavi Marmara nach Gaza mitgefahren war und das israelische Militär für das Abfangen des Schiffes geißelte, dann erst nach Einschalten des Gerichts für die Kandidatur für die Knesset zugelassen wurde – anerkannte, dass Christen in größerer Zahl als Muslime aus Nazareth abwanderten, schrieb das aber einem allgemein höheren sozioökonomischen Niveau der Christen zu.
Muslime möchten genauso dringend Nazareth verlassen, wie Christen“, sagt sie. „Christen ziehen nicht nach Ober-Nazareth, weil sie dort willkommener sind als Muslime... für den Staat Israel bist du, wenn du kein Jude bist, entweder Ausländer oder eine Bedrohung.“ Indem er eine Christliche Partei gründete, fügt Zoabi hinzu, „verkaufte Schlayan seine Ehre und sein Land!“

Aber der christliche Marinekapitän nimmt diese Kritik unbeschadet auf. Während er jetzt auf die Papiere für die neue Partei wartete, wandte er sich neulich an den Minister für Tourismus Usi Landau mit der Bitte, die größte Jesus-Statue der Welt auf den „Berg des Abgrunds“ zu stellen, wo – nach christlicher Tradition – die ungläubigen Einwohner Nazareths versucht hatten, ihren Erlöser in den Tod zu stürzen, was misslang.

Original: Nazareth’s dwindling Christian populace torn between moving out, fighting back
aus Times of Israel 

Wie die Zeitung „TheChristianPost“ am 23. Oktober berichtet, ist die israelische arabische Politikerin Hanin Soabi im Wahlkampf um Nazareths Bürgermeisteramt, nach 20 Jahren Regierung durch Rames Jareisi, gescheitert. Sie hatte mit 3812 Stimmen nicht die Prozentzahl Jareisis von 43,37 % erreicht.
Soabi hat einen Sitz in Israels Parlament, der Knesset, tut sich aber permanent als Kritikerin ihrer Regierung hervor und spornt ihre arabischen, vor allem muslimischen Landsleute an, sich nicht mit den Gegebenheiten in Israel zufrieden zu geben, nicht allzuviel Sympathien zu entwickeln und nicht auch noch dankbar zu sein, dass sie 1948 nicht aus dem Land vertrieben wurden.

Keine Kommentare: